Ihr erster Krimi spielt in Zürich. Und hat das Zeug zum Bestseller. Eine Begegnung.

TEXT: Stefan Busz BILDER: Boris Müller

Treffpunkt Rindermarkt. «Ich bin an der Klingel angeschrieben. Einfach durch den Hausgang gehen und hinten wieder raus in den Hinterhof», hat Seraina Kobler gesagt. Dann stehen wir in einem kleinen Paradies, es ist der Schwarze Garten inmitten der Zürcher Altstadt. Eine Esche breitet hier auf der Höhe der Dächer ihre mächtigen Arme aus.

Gottfried Keller ist im Nebenhaus aufgewachsen, «dort wohn ich, in dem schwarzen Haus mit den roten Balken», hat er in seinem Tagebuch geschrieben. Seraina Kobler arbeitet im Häuschen mit schiefergrauen Fensterrahmen. Dort in ihrem Atelier ist ihr erster Zürich-Krimi entstanden: «Tiefes, dunkles Blau».

Es ist der erste Fall für die Seepolizistin Rosa Zambrano. Sie ist eine wunderbar warmherzige Ermittlerin, die auch eine begeisterte Gärtnerin und Köchin ist, wie es auf dem Umschlag heisst. Und auch sie wohnt beim Schwarzen Garten. «Sie ist einfach aufgetaucht», sagt Seraina Kobler. Jetzt muss sie mit Rosa leben.

Zoomen wir schnell in diesen Krimi hinein. Er beginnt mit einem Keller-Zitat aus dem «Grünen Heinrich», erste Fassung: «Es heisst, die schönsten Städte der Schweiz liegen an einem Fluss und an einem See zugleich.» Dann steigt die Stadt aus dem Blau auf wie in einem Traum. Weiter gehts in die Altstadt mit Predigerkirche. Und schon sehen wir Rosa Zambrano in ihren Garten-Clocks, wie sie einen Zweig Verbene abknipst und ganz zufrieden ist mit sich und der Welt. «Denn die Welt, das waren rotbackige Radieschen, die versteckt zwischen Sommerkürbissen und dicken Bohnen wuchsen, oder in der Morgensonne ruhende Zucchini, deren safrangelbe Blüten schon sehr bald perfekt wären.»

Die Welt gibt es so aber nicht. Wie wohl auch der Schwarze Garten nicht für Radieschen, Sommerkürbisse oder dicke Bohnen taugt, es gibt zu viel Schatten. «Ich darf erfinden», sagt Seraina Kobler. Und kommt mit ihren Erfindungen der Wirklichkeit sehr nahe.

Das gilt auch für den Hauptplot. Rosa Zambrano lässt sich in einer Praxis an der Goldküste Eizellen einfrieren, mit bald 38 Jahren will sie sich alle Optionen auf ein Kind offenlassen. Der Arzt, der sie behandelt, wird später tot im See aufgefunden, und so gerät die Seepolizistin auf der Suche nach den Hintergründen in die Welt der Genforschungslabore, in denen an der Zukunft des Menschen gewerkelt wird – Krebs ist dann Vergangenheit.

Was wärest du bereit zu machen, um einen Menschen zu retten, den du liebst? Das ist in diesem Krimi die grosse Frage. «Für den Anfang habe ich mir etwas ganz Grosses vorgenommen», sagt Seraina Kobler. Und sie hat über die Frage der Veränderung am Genmaterial auch tief recherchiert. Zum Beispiel im Institute for Molecular Health Sciences der ETH Zürich.

Aber auch in kleineren Sachen wird die Zukunft vorweggenommen. Da ist der Zähringerplatz, der bei ihr kein Parkplatz mehr ist, sondern ein Ort, wo Boule gespielt wird (gerade wurden tatsächlich einige Parkfelder aufgehoben). Und da ist die «Turandot», die in ihrem Krimi im Rahmen der «Oper für alle» auf dem Sechseläutenplatz zu hören ist. Kobler wusste nicht, dass das Opernhaus Zürich «Turandot» im Sommer 2023 zeigen wird. Okay, nicht als Oper für alle. Aber eben: Die Wirklichkeit nähert sich der Erfindung an.

Gerade diese Oper ist ihr wichtig. Nicht weil sie ein unmögliches Ende hat. Oder von einer unmöglichen Liebe erzählt. «Turandot» gehört zu Koblers besten Kindheitserinnerungen. Die Arie «Nessun dorma» war im Sommer der Fussball-Weltmeisterschaft überall zu hören. «Pavarotti eröffnete damit nicht nur das Turnier, er war auch der Erste, der die Hochkultur der Oper mit Popmusik zusammenbrachte – und damit die Hitparaden stürmte», sagt Seraina Kobler. Das ist auch ein Prinzip ihres Krimis, er spielt auf vielen Ebenen. Alles ist mit allem verbunden.

Kulinarisch gesprochen (denn Rosa Zambrano isst fürs Leben gern, wie auch Seraina Kobler leidenschaftlich kocht): Manchmal gibt es Schwarzbrot mit Senf. Dann wieder geräucherte Felchen, dazu Salat aus Brunnenkresse und Zwiebel-Himbeer-Marmelade. Und was «Tiefes, dunkles Blau» angeht: Es wird vielleicht auch ein Bestseller werden.

Kleine Frage: Wie fühlt man sich eigentlich als Diogenes-Autorin, in Gemeinschaft mit Patricia Highsmith, Doris Dörrie, Donna Leon? «Wenn ich das Buch sehe, frage ich mich manchmal, wer meinen Namen auf den Umschlag geschrieben hat», sagt Seraina Kobler.

Jerry Cotton, Agatha Christie: Als Kind hat sie viele Krimis gelesen. Und als Baby war sie bei Max Frisch. Das war im Onsernonetal im Tessin, wo sie, Jahrgang 1982, aufgewachsen ist. Frisch wohnte im Nachbardorf. An einem Fest, zu dem ihre Eltern bei ihm eingeladen waren, schlief sie so fest, dass sie beim Abschied fast vergessen gegangen wäre.

Tempi passati. Im Schnelldurchlauf die weiteren Stationen. Seraina Kobler hat Linguistik und Kulturwissenschaften studiert. Hat als Journalistin gearbeitet, unter anderem bei der «Neuen Zürcher Zeitung». Hat sich dann selbstständig gemacht. Debütierte 2020 mit dem Roman «Regenschatten», in dem Zürich brennt. Brachte ein Sachbuch über die schönsten Wald- und Wiesensträusse heraus. Sie hat vier Kinder und lebt mit ihrer Familie in Zürich.

Nach Zürich ist Seraina Kobler 2003 gekommen und hat sich in die Stadt verliebt. Es war die Zeit des Aufbruchs: mit viel Experimenten und Musik. «Es gab hier eine Freiheit, die es in Basel nicht gab», sagt sie. Rosa ist jetzt ihre Figur, mit der sie die Stadt begeht, mit all ihren Geschichten, die Zürich eingeschrieben sind.

Sagen gehören dazu. Zum Beispiel vom Glockengiesser im Niederdorf, der seine Frau aus dem Morgenland hinter hohen Mauern versteckte. Die Blumen und Früchte im Schwarzen Garten sollten sie vergessen lassen, dass sie eingesperrt war. Das Paradies hat immer auch eine Kehrseite.

Rosa ist da ein ganz anderes Kaliber. Sie geht ihren ganz eigenen Weg. Bricht aus dem Rahmen aus. Sie hat Geschichte studiert, dann aber den Beruf einer Seepolizistin gewählt, sie fährt Velo, taucht, rudert. Und liebt natürlich auch. Martin Weiss hat stahlblaue Augen. Nur hat der gute Mann eine Bindungsangst. «Manchmal spreche ich mit meinen Freundinnen über meine Männer-Figuren, als wären sie Bekannte», sagt Seraina Kobler, «wir lachen viel.»

Erstleser ist aber ihr Mann. «Manchmal braucht es einen Menschen, der an einen glaubt, um Dinge zu schaffen, die man nicht einmal zu träumen wagte», sagt Seraina Kobler.

Ist eigentlich Zürich eine gute Stadt für Verbrechen? «Es gibt keine andere Stadt, wo der Abfall in weissen Säcken herausgestellt wird», sagt Kobler, «das Gepützelte gehört zum Oberflächenglanz.» Darunter aber öffnen sich Abgründe. Und schön, wie sie dafür im Krimi ein Bild für die trügerische Ruhe findet. Unbeweglich lauert im See eine Welsdame auf Beute. In Nebel aus Plankton in einem tiefen, dunklen Blau.

Jedenfalls ist Zürich gut für Krimis. Bewusst hat Kobler keine Krimis von Kolleginnen und Kollegen gelesen, «ich will das Eigene finden». Sie kennt aber Sunil Mann («er kann alles»), von ihm kommt bald «Der Kalmar» heraus, es geht um Auftragskiller und Mafia. Sie schätzt auch Gabriela Kasperski («sehr sinnlich»), ihr neues Buch «Zürcher Glut» ist gerade erschienen. Sie bewundert auch Petra Ivanov (aktuell: «Stumme Schreie»), wie genau sie sich im Polizeimilieu auskennt.

Man könnte hier auch noch Andreas Russenberger nennen, der jetzt nach «Bahnhofstrasse», «Paradeplatz» Richtung «Langstrasse» geht. Oder Stephan Pörtner mit seinen Köbi-Romanen. Alles sind sie Serientäter. Und auch Seraina Koblers zweiter Zürich-Krimi ist in Vorbereitung.

Im Schwarzen Garten sind jetzt die Schatten länger geworden. Wir verabschieden uns. Rosa würde hier später einen Campari Orange trinken.

Buchvernissage Mo 9.5., 19.30 Uhr Theater Neumarkt Neumarkt 5 Tiefes, dunkles Blau – Ein Zürich-Krimi Diogenes-Verlag

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«Tiefes, dunkles Blau» im Westdeutschen Rundfunk Köln

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«So entdecken wir mit Rosa die stillen Seiten von Zürich»